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Interviews mit Reuter
Fragen von Karlheinz
Schmid, 1998
Gespräch mit Hans-Ulrich
Obrist, 1994
Fragen von
Uwe Kolbe, 1989
Fragen von
Rainer Beck, 1988
Gespräch mit Michael
Schwarz, 1975
Fragen von Rainer Beck an Hans Peter Reuter zum Thema Kunst und Akademie
Teil 3


Frage 12: Angesichts des geringen Bedarfs an Kunsterziehern ist eine schlechte oder auch nur mäßige Beurteilung künstlerischer Examensleistungen gleichbedeutend mit einem Berufsverbot für die Betroffenen. Welche nachprüfbaren Kriterien bestehen zum Nachvollzug dieser Kunsturteile?

Sicher sieht dieser ganze Vorgang auf den ersten Blick ausgesprochen ungerecht und verbesserungsbedürftig aus. Die Tatsache, daß nicht jeder eine Stelle erhalten kann, ist leider nicht aus der Welt zu schaffen. Es muß also eine Möglichkeit gefunden werden, innerhalb der Bewerber eine Reihenfolge herzustellen. Dies aufgrund der künstlerischen Examensleistung zu tun, ist sicher sehr problematisch. Die künstlerische Examensleistung jedoch überhaupt nicht für eine Beurteilung der jeweiligen Leistung heranzuziehen, fände ich noch problematischer. So steht man also in einem Dilemma zwischen der Tatsache, daß künstlerische Leistungen schlecht beziehungsweise nicht gerecht benotbar sind, auf der anderen Seite aber eine wichtige oder die wichtigste Voraussetzung für die spätere Lehrtätigkeit darstellen. Die Problematik liegt also in der grundsätzlichen Unverträglichkeit zwischen „Kunst“ und „Prüfung“ begründet und kann in ihrer derzeitigen Form als „Emulsion“ nur dadurch ertragen werden, daß jeder, der dieses Studium antritt, sich über diese Problematik im klaren sein muß. Es gibt im übrigen inzwischen eine starke Ausweitung des Berufsfeldes, so daß ein ausgebildeter Kunsterzieher nicht unbedingt in der Schule tätig werden muß, sondern im weitesten Feld der Kunstpädagogik seine Zukunft sehen kann. Die derzeitige Situation bedeutet aber auch, daß jeder angehende Student der Kunsterziehung damit rechnen muß, später freier Künstler zu sein und sein Studium auch darauf abstellen sollte.

Frage 13: Klassenproporz und Kollegenneid werden nicht selten als die wesentlichen Maßstäbe zur Verleihung von Akademiepreisen bezeichnet. Sehen Sie dies auch so?

Manchmal ist es eben auch in den Akademien „wie im richtigen Leben“, und es wäre schon verblüffend, wenn Neid und Proporzdenken plötzlich hier keine Rolle spielen würden. Es wird sicher immer ein Hin und Her sein zwischen Versuchen zur Toleranz und Kollegialität und andererseits Ausbrüche von Machtstreben und Egozentrik geben. Jedes Mitglied der Anstalt Akademie wird früher oder später von einem Hospitalismus-Syndrom befallen beziehungsweise gefährdet und beginnt, die Probleme in der kleine Welt Akademie für wichtiger zu halten als die Probleme der großen Welt außerhalb. Den einen trifft es härter, den anderen weniger, aber eine kleine Blickverengung wird sicher immer feststellbar sein.

Frage 14: Was begründet die Qualifikation eines Professors? Wie sieht für Sie das ideale Berufungsverfahren aus?

Ein Professor sollte in seinem Leben die existentielle Haltung zur Kunst erfahren haben und dies auch vermitteln wollen. Ein großer Künstler ohne Interesse an der pädagogischen Vermittlung wäre mir zu wenig, ein mittelmäßiger Künstler mit hervorragend pädagogischem Talent ebenfalls. Im Normalfall würde ich ein gewisses höheres Alter vorziehen, da bei den meisten Künstlern am Anfang eine kämpferisch-dogmatische Haltung vorherrscht, die mit den Jahren nachläßt beziehungsweise einer größeren Toleranz Platz macht. Das ideale Berufungsverfahren wäre für mich eine Mischung zwischen der jetzigen Möglichkeit der freien Bewerbung und Ausschreibung und dem früheren, eher verdeckteren Verfahren, das etwas rufschonender war und auch seinen Sinn hatte. Es müßte für die Akademie möglich sein, eine von ihr gewünschte Person auf den ersten Platz zu setzen, ohne daß diese Person an der Bewerbung beteiligt war. Da ich aber nicht nur die Kunst, sondern auch die Person für sehr wichtig erachte, fände ich es sinnvoll, vor der endgültigen Berufung mehrere Kandidaten, eventuell den Dreiervorschlag, jeweils ein Gastsemester an der Akademie unterrichten zu lassen. Das wäre meines Erachtens sinnvoller als ein Gastvortrag oder nur die Betrachtung der jeweiligen Bilder.

Frage 15: Von Friedensreich Hundertwasser beispielsweise ist bekannt, daß er seine Studenten u. a. per Tonband aus der Ferne unterrichtet. Was halten Sie von Präsenz?

Natürlich ist die Methode, Studenten aus der Ferne zu unterrichten, Unsinn. Bei der Präsenz in der Klasse gibt es auch Unterschiede zwischen Quantität und Qualität. Es gibt Professoren, die sind die ganze Woche anwesend und sagen doch sehr wenig, während andere eventuell an einem Tag bedeutend mehr sagen. Es ist eine Frage der Intensität und Präszision. Vor allem sollte man jedem Studenten die Möglichkeit geben, eine sinnvolle Mischung zwischen Gespräch mit dem Professor, Diskussion mit Mitgliedern der Klasse und konzentrierter eigener Arbeit herzustellen. Im Sinne des Wortes Korrektur sollte der Professor nur ab und zu korrigierend eingreifen und nicht das Steuer selbst in die Hand nehmen, denn das führt zur Unselbständigkeit. Das Ideale für mich wäre eine ausgewogene Mischung zwischen Verfügbarkeit des Professors für den Studenten und der Möglichkeit zum eigenen Arbeiten in einem Freiraum ohne einwirkende Präsenz des Lehrers. Vielleicht ist eine größere Präsenz in den niederen Semestern sinnvoll und eine Reduzierung in den oberen. Insgesamt glaube ich, daß eine durchschnittliche Präsenz von ein bis zwei intensiven Tagen pro Woche genügt. Die Anwesenheit in der Akademie selbst wird höher sein müssen, da inzwischen ja ein nicht unerheblicher Verwaltungs- und Organisationsaufwand entstanden ist


IV. Verhältnis Akademie – Staat

Frage 16: Ist staatlicher Einfluß an den Akademien gleichbedeutend mit Mord an der Kunst?

Das ist eine ambivalente Frage. Es kann, muß aber nicht sein. Ein Haufen von zerstrittenen oder sich Mafia-ähnlich organisierenden Künstlern kann genauso Mord an der Kunst sein wie der staatliche Einfluß. Trotzdem glaube ich, daß der staatliche Einfluß so gering wie möglich bleiben muß, denn Chaos in der Kunst ist immer noch besser als Reglementierung.

Frage 17: Soll der Staat die Akademien über ihren genehmigten Haushalt hinaus fördern? Wenn ja, wie?

Da die Kunst keine Nützlichkeitslobby hat, muß der Staat die Akademien auf jeden Fall über den genehmigten Haushalt hinaus fördern, denn ein Kosten-Nutzen-Denken ist hier völlig fehl am Platze. Und die Argumente wie Wissens- und Bewußtseinserweiterung, die für Milliardenausgaben zum Beispiel der Raumfahrt angebracht werden, kann die Kunst schon lange ins Feld führen.

Frage 18: Erschöpft sich der Sinn der Akademien im Wesen einer geschlossenen Anstalt mit begrenztem Lehrauftrag oder erwachsen ihr aus ihrem Tun kulturelle Verpflichtungen für das kommunale Umfeld?

Da bildende Kunst sicher auch unter anderem optische Sichtbarmachung von Welterfahrung bedeutet, kann die Akademie nie eine geschlossene Anstalt sein. Nur um ihren kulturellen Verpflichtungen für das kommunale Umfeld nachzukommen, ist sie, wie schon eigentlich für ihre bisherigen Aufgaben, viel zu schwach ausgestattet und müßte sowohl personell, finanziell als auch vom Gewicht her einen ganz anderen Stellenwert innerhalb der Ausbildungsinstitute der Länder bekommen.

Veröffentlicht in „Kunst im Brennpunkt der Akademien“, München 1988



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