TEXTE
Interviews mit Reuter
Fragen von Karlheinz
Schmid, 1998
Gespräch mit Hans-Ulrich
Obrist, 1994
Fragen von
Uwe Kolbe, 1989
Fragen von
Rainer Beck, 1988
Gespräch mit Michael
Schwarz, 1975
Gespräch zwischen Hans-Ulrich Obrist und Hans Peter Reuter
Teil 4


H-U O: Besonders paradox bei Yves Klein, weil es ja wirklich um eine Readymade-Malerei ging, die dann wiederum mit dem Sakralen des Originals versehen wurde.

H.P.R: Genau! Also, meine Farbstufe 17 entspricht ziemlich genau seiner Farbe (IKB). Sie ist mit dem Pinsel fast nicht zu vermalen, so daß sie von Yves Klein ja auch aufgespritzt wurde und da ist es ja nun wirklich scheißegal wer das macht. Auch bei meinen derzeitigen ultramarinen Bildern dürfte der originäre Wert, das Eigenartige sicher mehr in der Partitur liegen, als darin, wie das Ding dann realisiert wird. Andererseits, irgendeinen Verhunzer kann ich nicht dran lassen, einen, der den Pinsel nicht richtig halten kann! Aber jemand der handwerklich gut ist, der wird sicher nicht viel schlechter sein als ich. Trotzdem, …der Helfer wird mit Sicherheit nicht so souverän sein können wie ich selbst. Seine Unsicherheit könnte sich in zu großer Perfektion, oder Glätte im Bild niederschlagen. Er fürchtet sich, Fehler zu machen und er wird die Partitur nicht verlassen, selbst wenn es für das Bild notwendig wäre. Ein ähnliches Argument gilt übrigens für den Computer als Helfer. Er ist deshalb für mich ungeeignet, weil er überhaupt keine Fehler macht. Ich dagegen bin ein wandelndes Fehlerminimierungsprogramm. Ich mache nur Fehler, entscheide aber sofort, ob dieser korrigiert werden muß, oder eben nicht!

H-U O: Die Bildgröße ist oft im menschlichen Maß, auch wenn Ihre Räume, ich meine die bildimmanenten Räume oftmals extreme Ausnahmemaße annehmen.

H.P.R: Die Figur als direkter Maßstabsgeber ist ja schon lange aus meinen Bildräumen verschwunden. Das ist auch gut so, denn meine Räume sollen nicht von dieser Welt sein, folglich: maßstabslos. Andererseits sind in den meisten Bildern noch zwei Dinge vorhanden, die als Vergleichsmaßstab dienen könnten. Der Fliesenraster und der Fluchtpunkt. Je kleiner der Raster und je tiefer der Fluchtpunkt, um so größer erscheint der Raum. In den ultramarinen Bildobjekten hat sich das geändert. Ihre Scheinräumlichkeit verweist auf sich selbst. Sie erscheint nicht größer als das Bild selbst. Vielleicht haben deshalb die meisten neueren Arbeiten eine solch große Dimension. Es sind, trotz Illusion, konkrete Bilder, da das gesamte Bild, mit allen seinen Ingredienzien, nur auf sich selbst verweist.

H-U O: Also auch in diesen Partituren, auch in den Zahlen?

H.P.R: Zahlenbezüge, Zahlensysteme… nicht hochmathematisch (dafür fehlt mir das Fachwissen), aber irgendwie lustvoll, spielerisch. Da ich meine Rastersysteme auf den Millimeter durchrechnen muß, entstehen teilweise aus der Zeichnung heraus Zahlen wie 11,83 cm für die Breite eines Pfeilers und 24,17 für den Zwischenraum. Das geht natürlich nicht! Ich biege dann die Bildrealität so lange hin, bis der Zwischenraum 24 cm und der Pfeiler 12 cm breit ist. Wichtige Teile im Bild dürfen keine krummen Zahlen als Maße haben, selbst wenn das alles nachher unbemerkt bleibt.

H-U O: Es gibt ein von Ihnen gebautes Schwimmbad…

H.P.R: …also das habe ich nicht gebaut, sondern nur in einen bereits vorhandenen Raum hinein konzipiert. Meine Raumentwürfe sind zwar sehr schön, haben aber noch nicht dazu geführt, daß ich auch den realen Raum, in den hinein ich meine Inszenierung verwirkliche, selbst entwerfen konnte.

H-U O: Eine Überlagerung.

H.P.R: Ja, eine Überlagerung… Die Räume waren nämlich nicht besonders interessant. Ich mußte mich ganz schön anstrengen, daraus jeweils meinen Raum werden zu lassen. Es wäre sicher reizvoll einen Raum ohne fremde Vorgaben so zu bauen, wie ein Bild gemalt wird. Damit aber die Wirklichkeit mit der Vision mithalten könnte, müßte der Bau schon ganz schön unwirkliche Dimensionen annehmen. Das Pantheon… da würde es schon interessant werden... Durch ein Filmprojekt über meine Arbeit hatte ich einmal das große Glück, das Pantheon eine Stunde für mich alleine zu haben. Mitten im Sommer! Hunderte von Touristen wartend draußen und ich und das Pantheon, wir beide ganz allein! Also das könnte ich schon zu meinem idealen Kunst-Raum erklären.

H-U O: Alighiero Boetti hatte ja sein Atelier in unmittelbarer Nähe des Pantheons. Die Serialität, die Repetition…

H.P.R: Genau das ist neben der Größe der Grund warum ich das Pantheon adoptieren könnte! Es wimmelt dort geradezu von Strukturen, Prinzipien und Begriffen, die ich in meinen Bildräumen ebenfalls verwende. Wenn ich da nur an die vorgelagerten Säulenhalle denke, oder die sphärische Kassettendecke, die reinste Rasterorgie…

H-U O: Könnten Sie an dieser Stelle noch von diesem Wettbewerbsprojekt erzählen, für dieses öffentliche Gebäude, das nicht gebaut wurde.

H.P.R: Es ist eine meiner Lieblingsideen, im freien Bereich Objekte, große Architekturen zu bauen, die für sich alleine noch nicht fertig sind. Der Gegenpart oder der zweite Teil der Arbeit wären Pflanzen, die mit der Zeit in die ihnen zugedachte Rolle hineinwachsen würden. Eine sich selbst entwickelnde Zeit-Kunst-Natur-Architektur. Das Objekt wäre frühestens in fünf bis zehn Jahren fertig, oder eigentlich nie, da es sich ja permanent weiterentwickeln würde. Die Symbiose von exakter menschlicher Planung und amorphem natürlichen Wachstum könnte auch zur teilweisen Zerstörung des Bauwerks durch die Pflanzen führen. Am Ende stände dann die barocke Idee von der schönen Ruine. Die reine Geometrie der gefliesten Pfeiler geht zusammen mit dem chaotischen Wuchern und Schlingen der Glyzinie. Deren flirrende, blaßlila Blüten ergeben einen wunderbaren Klang mit dem glatten, glänzenden Blau der Fliesen,… Konstruktive Romantik, amorphe Rechtwinkligkeit… Amorphes Wachsen ist von strukturellem Wachsen nicht weit weg. Mondrian hat mit Bäumen angefangen und kam darüber zu seinen Quadraten und Rechtecken. Ich weiß nicht, ob seine späten Blumen-Postkarten-Aquarelle nur aus der Not heraus entstanden sind, oder nicht doch auch ein wenig aus einer Sehnsucht, zu den eigenen Anfängen zurückzukehren. Ich finde es wichtig, daß die Linien der Rasterfugen von weitem exakt aussehen und von nahem wackeln wie ein Kuhschwanz. Dies ist für die Substanz, das Wesen der Bilder wichtig, ist aber trotzdem nicht ihr einziges Thema. In der Landschaft aber, könnte ich mir schon vorstellen, daß die scharfe Kante eines Pfeilers, der exakte Fliesenraster als Gegensatz zur schlängelnden Linie einer Glyzinie zum Thema meiner Arbeit werden könnte.

H-U O: Eine andere Arbeit im Raum sind diese Würfel aus Styrodur, wo eine Zwischenwelt entsteht, ein Raum zwischen 2D und 3D.

H.P.R: Das Springen zwischen 2D und 3D ist zwar bei mir ein durchgängiges Thema, aber über die neuen Variationen, die durch die fliegenden Würfel in meine Arbeit gekommen sind, bin ich selbst überrascht. Die einzelnen Würfel können sowohl Farbfleck als auch Illusionserzeuger sein. Schein und Sein purzeln ziemlich durcheinander. Bei ihnen hat sich meine eher statische Bildwelt aufgelöst. Sie können als Einzelkämpfer aber auch als ganze Armee auftreten. Sie nehmen vielfältige Beziehung untereinander auf und beeinflussen nachhaltig die Wand, auf der sie hängen. Sie lösen die Präsenz der Wand auf und bilden ein eigenes von der realen Wand unabhängiges Raumsystem. Aber, letztendlich, stecke ich hier noch mitten in den Anfängen und kann nur beschreiben und nicht analysieren... Ich bin erfreut, daß scheinräumlichen Würfelprojektionen offen sind, daß ich mit ihnen keine festen Bildgrenzen mehr habe. Der Fluß der Zeit ist durch sie real in meine Arbeit gekommen. Ich kann anfangen und aufhören, wann und wo ich will, habe mit ihnen keine festen Grenzen mehr und bin nicht mehr in einem rechtwinkelig abgeschiedenen – wenn auch manches mal apotheotischen – Bildraum gefangen. Aber, wie gesagt, ich schwimme hier noch im Strom der Entwicklung.



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