Interviews mit Reuter
Gespräch mit Michael
Schwarz, 1975
Gespräch zwischen Michael Schwarz und Hans Peter Reuter am 17. November 1975.
Teil 3
Reuter: Ich will das mal so sagen: Sie sind von der optischen Seite her gedanklich schon begehbar, jedoch von der inhaltlichen Seite begehfeindlich. Denn ein normaler Mensch, der darin herumlaufen würde, würde sich ja nicht gerade wohlfühlen. Nicht nur wegen der Sterilität und der Ausweglosigkeit, sondern auch wegen der totalen Leere. Ich meine, was mir zufällig einfällt, wer geht schon gern als erster auf die Tanzfläche. Also der erste und vielleicht auch der einzige zu sein, der in einen leeren Raum hineingeht, da gibt es nur wenig Menschen, die dabei keine Hemmungen haben. Das ist natürlich eine Frage der inneren Sicherheit, des Vertrauens. Hier tangiere ich einen Bereich, der für mich noch etwas diffus ist und den ich noch nicht so richtig überlegt habe. Ich arbeite ja in meinen Bildern mit Stilmitteln, die auch die Kirchen und alle Arten von totalitären Bewegungen in starkem Maße, teilweise zur Einschüchterung, teilweise zur Erzeugung einer Gefühlseuphorie angewandt haben. So muß ich zugeben, daß ich die Steigerung einiger meiner Stilmittel, wie Untersicht, Zentralaufbau, Reihung usw. ins maßstablos Gigantomanische durch Albert Speer schon sehr faszinierend finde, mit allen Vorbehalten, die seine politischen Ziele betreffen.
Schwarz: Was tun Sie, um zu verhindern, daß man Sie eventuell in die gleiche Schublade steckt ...
Reuter: Da tue ich das, was jeder Mensch mit einem reinen Gewissen tut, ich tue eigentlich gar nichts, weil ich einfach glaube, daß ich eben nicht so bin und auch nicht so male und als Person nie in diese Richtung tendiert habe. Wenn ich z. B. Bilder male, die viel mit Angst zu tun haben, so male ich sie ja nicht, um die Leute in Angst zu versetzen, sondern weil ich selbst eine starke Beziehung zur Angst habe. So habe ich z. B., wie viele Menschen, eine ausgeprägte Altersangst und noch genügend andere Neurosen. Wenn also irgendwelche Symbole in meinen Bildern stecken, die andere zum Zwecke der Unterdrückung verwenden, so habe ich in meinem Fall meine persönliche Privatunterdrückung schon durchlebt, die ich nun in meinen Bildern dokumentiere.
Schwarz: Nochmal zu den Räumen, sie laden nicht gerade ein, sie lassen den Betrachter draußen, sie schaffen Distanz. Nun behaupten Sie, es sind Räume mit Figuren, mit denen man sich – auch wenn sie abwesend sind – identifizieren könnte. Wie soll ich das verstehen?
Reuter: Sie sind zwar draußen, aber der Bezug ist noch da. Damit meine ich auch den Bezug zum Menschlichen bzw. zum Betrachter. Beim Entwerfen dieser Räume stelle ich mir ja immer vor, ich wäre jetzt in dem Raum und versuche dann alle Proportionen irgendwie auf das menschliche Maß zu beziehen. Nur als Beispiel: Der Rand an einem Wasserbecken, wie hoch ist der? Kommt da ein Mensch noch raus oder nicht?
Schwarz: Na ja, bei den meisten Räumen hätten Menschen schon ihre Mühe. Ich meine, es sind richtige Negativräume, richtige Antiräume ...
Reuter: Schon, aber gerade die totale Negation liegt ja manchmal von der positiven Position nicht weit weg. Das ist zumindestens mit ein Grund, weshalb ich keine Menschen in meine Räume male, denn dann wären sie ja schon besetzt und nicht mehr für jeden Betrachter auf seiner eigenen emotionalen Basis zugänglich.
Schwarz: Wenn Sie Menschen malen würden, könnte sich die Angst der Betrachter nur vergrößern, denn die Menschen in den Bildern säßen im Gefängnis und könnten nicht heraus, da die Räume ohne Ausweg sind.
Reuter: Vergessen Sie das Licht nicht! Für mich ist das Licht in meinen Räumen immer ein sehr beruhigender Faktor. Geistig gesehen kann ich ja immer raus, in dem ich einfach dem Licht nachgehe, das ja von draußen kommt.
Schwarz: Da müßte man aber schon fliegen können... Herr Reuter, reden wir noch mal über die Ausstellung. Welche Vorstellungen hat das Thema Menschenleere Räume bei Ihnen ausgelöst? Oder enger gefragt: Fühlen Sie sich in diesem Thema wohl?
Reuter: Ich glaube, da gibt es gar nichts zu überlegen. Der Begriff Raum und Leere taucht ja bei meiner Arbeit nicht ab und zu mal auf, sondern ist ein durchgängiges zentrales Thema meiner Bilder.
Schwarz: Der Begriff menschenleer ist existentialistisch aufgeladen, er riecht ein wenig nach 50er Jahren und ist auch sonst ein bißchen pathetisch.
Reuter: Eben, man kommt sich bald so vor, als hätte man was gegen Menschen und wollte die um jeden Preis aus seinen Bildern haben. Vielleicht habe ich ja nur Schwierigkeiten, dem Menschen gerecht zu werden. Und dann weiche ich auf den Raum aus, als die Umgebung des Menschen, um ihn damit vielleicht besser definieren zu können. Ich meine, ich habe in den ersten vier Semestern meiner Akademiezeit ungefähr 2000 Aktzeichnungen gemalt (die habe ich gezählt, als ich sie weggeworfen habe) nachher saß ich in München dauernd vor Rubensbildern und habe dessen Figuren in meine Bilder übernommen. Diese Figurenmalerei führte dann ja auch zu den Dingern. Inzwischen hat sich jedoch das anfängliche Nebenproblem des Umraumes zum Hauptproblem entwickelt und damit kurve ich dauernd um mein ehemaliges Problem, den Menschen, herum. Daß übrigens die Architektur für den Menschen eine zentrale Bedeutung hat, wird sofort deutlich, wenn man einmal Untersuchungen über die Entwicklung der Kriminalität oder die Selbstmordraten in seelenlos geplanten Vorstädten und Hochhäusern gegenüber gewachsenen Siedlungsräumen liest.
Schwarz: Viele sehen in Ihnen einen unglaublich spezialisierten Künstler und in der Tat bewegen Sie sich – gemessen an der vielfältigen Produktion im heutigen Kunstbereich – auf einem sehr engen Pfad. Spekulieren Sie auf den Markenzeichenwert Ihrer Kachelräume?
Reuter: Da bin ich ganz sicher, daß ich nicht spekulativ vorgehe, denn ich kann mich ja bei meiner beschriebenen Arbeitsweise – erst völlig emotionale Erfindung, dann rationale Überwachung der Ausführung – nur sehr langsam selbst beeinflussen. Und als Spezialist empfinde ich mich eigentlich auch nicht. Wenn ich bedenke, ich habe noch keine einzige zielstrebige Untersuchung anhand einer größeren Serie systematisch variierter Räume durchgeführt. Für mich sehen meine Raumkonzeptionen eigentlich ziemlich willkürlich und sprunghaft aus.
Schwarz: Eine systematische Untersuchung würde doch bedeuten: viele Jahre an diesem Thema zu malen. Wäre das nicht unmenschlich und auch physisch kaum durchzustehen?
Reuter: Na ja, vielleicht haben Sie da recht. Aber bei mir braucht alles seine Zeit, das geht alles nicht so schnell.
Veröffentlicht im Katalog der Ausstellung Menschenleere Räume, Badischer Kunstverein, Karlsruhe, Januar-Februar 1976
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