Fragen von Rainer Beck an Hans Peter Reuter zum Thema Kunst und Akademie
Teil 2
Frage 6: Schon 1948 hat Barnett Newman – bis heute unwiderrufen – die Tradition der westeuropäischen Malerei als „Behinderung durch Erinnerung, Gedankenassoziation, Nostalgie, Legende, Mythos“ bezeichnet und ein voraussetzungsloses Schaffen „aus unserem Innern“ gefordert. Ähnlich wird von jungen Leuten immer wieder das Recht auf bewußtes Vergessen und den Rückzug auf die eigene Einmaligkeit proklamiert. Welchen Wert messen Sie der Beschäftigung mit den „Alten“ im Rahmen der künstlerischen Ausbildung bei?
Auch hier schließt das eine das andere nicht aus. Ich weiß nicht, warum ich auf der Suche nach meiner eigenen, einmaligen Lösung die bereits gefundenen, ebenfalls einmaligen und individuellen Lösungen anderer nicht zur Kenntnis nehmen soll. Es hat meines Erachtens noch nie jemandem geschadet, wenn er auf dem Weg zu seiner eigenen Einmaligkeit sich auf andere bereits gefundene Lösungen gestützt hat. Es wäre schon deshalb manchem anzuraten, sich mit der Tradition beziehungsweise mit der Geschichte der Malerei zu beschäftigen, um nicht zu versuchen, manches als einmalig und neu zu verkaufen, was in Wirklichkeit schon uralt ist. Ich halte die Beschäftigung mit der Geschichte der Malerei für mindestens genauso wichtig wie die künsterlische Präzisierung einer eigenständigen Haltung und glaube auch nicht, daß das eine das andere behindert.
Frage 7:
Gibt es einen Unterschied zwischen Kunsterzieherkunst und freier Kunst? Wo soll die künstlerische Ausbildung der Kunsterzieherstudenten stattfinden, in einer freien Klasse nach eigener Wahl oder in geschlossenen Kunsterzieherabteilungen?
Natürlich gibt es keinen Unterschied zwischen Kunsterzieher-Kunst und freier Kunst, wobei die etwas unklare Definitionslage des Wortes Kunst schon in Frage 1 angeschnitten wurde. Für mich beinhaltet schon das Wort künstlerische Ausbildung, daß jeder Student die Möglichkeit haben muß, seine Klasse beziehungsweise seinen Professor frei zu wählen und ihn möglichst auch während des Studiums zu wechseln, um so möglichst verschiedene Haltungen während des Studiums kennenzulernen.
Frage 8: Einige Akademien haben inzwischen das Diplom als zusätzliche Abschlußmöglichkeit eingeführt. Welchen Vorteil erblicken Sie in einem diplomierten Künstler?
Ein echtes Diplom wäre für mich ein Paradoxon, weil es zum Begriff der Kunst einfach nicht paßt. Kunst kann man nicht prüfen, da jeder seinen eigenen Kunstbegriff hat. Somit ist auch eine demokratische Abstimmung über Kunst nicht möglich. Den Sinn eines Diploms könnte ich höchstens darin erkennen, daß eventuell bei Lehrtätigkeiten in Organisationen wie Volkshochschulen, Stadtteilläden und anderen Institutionen eine bessere Vergütung zu fordern wäre.
III. Binnenprobleme
Frage 9: Die Möglichkeit einer objektiven Beurteilung von Kunst wird heutzutage vehement bestritten und damit deren Berechtigung grundsätzlich angezweifelt. Sind also Korrekturen im Rahmen des akademischen Unterrichts nur noch als unverbindliche Statements des Lehrers zu werten?
Die Zeiten der unreflektierten Fortschrittsgläubigkeit, bei der nur das Berechtigung hatte, was objektiv beurteilbar war, ist Gott sei Dank vorbei. Ich sehe die Berechtigung der Kunst gerade darin, daß sie nicht objektiv beurteilbar ist. Korrekturen im Rahmen der Klassenbesprechungen sind nie unverbindlich, sondern personenbezogen. Das muß man berücksichtigen und die Korrektur des Lehrers in ein Korrekturgespräch der gesamten Klasse einbinden. Einsame Monologkorrekturen des Professors können sicher mit der Zeit eine gewisse Unverbindlickeit bekommen.
Frage 10: Halten Sie die Akademieeintrittsverfahren (Mappenschau und Aufnahmeprüfung) für gerecht, erkenntnisfördernd und sinnvoll?
Ich halte die Mappenschau und die Aufnahmeprüfung weder für gerecht noch für sehr erkenntnisfördernd und auch nicht für sinnvoll. Aber leider ist mir bis jetzt auch nichts Besseres eingefallen. Jede Alternative führte bis jetzt zu einer Verschiebung des Auswahlverfahrens in spätere Semester, und da finde ich es noch schwieriger, härter und noch weniger sinnvoll, eine größere Anzahl von Studenten wieder von der Akademie zu verweisen. Vielleicht wäre ein erstes, total offenes Probesemester eine nicht so schlechte Lösung, an dessen Ende dann die gleiche Mappenschau-Aufnahmeprüfung stehen würde, aber mit etwas gerechteren Voraussetzungen für alle Studenten beziehungsweise Bewerber.
Frage 11: Ist der Titel eines Meisterschülers das Produkt der unerforschlichen Ratschlüsse des Professors?
Sicher kann der Titel eines Meisterschülers das Produkt eines unerforschlichen Ratschlusses sein, aber erstens finde ich es gut, daß es in unserer heutigen perfekten Schul- und Studienform noch unerforschliche Ratschlüsse gibt. Außerdem finde ich es gut, daß es Möglichkeiten, wenn auch nur kleine, gibt, Position zu beziehen und Meinungen zu verdeutlichen. Der Meisterschüler ist, ähnlich den Stipendien, Reisen und anderem, eine von vielen Möglichkeiten, positiv fördern zu können. Diese Möglichkeit sollte man sich erhalten, da den anderen, die nicht gefördert werden, damit nicht geschadet wird. Sie erhalten zwar etwas nicht, aber es wird ihnen auch nichts genommen.
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