Interviews mit Reuter
Fragen von Karlheinz
Schmid, 1998
Öffentlich Stellung beziehen
Interview mit Karlheinz Schmid zum Thema Akademie im Dezember 1998
Teil 2
Frage: Im Vergleich mit anderen deutschen Kunstakademien: Wie ist Nürnberg zu bewerten? Wo liegen die Stärken, wo die Schwächen? Warum kommen auffällig viele Studentinnen und Studenten aus der fränkischen Region? Hilft der Heimvorteil bei der Bewerbung an der Akademie? Oder ist es so, daß Nürnberg im bundesweiten Vergleich weniger attraktiv erscheint und eher als Ausweichstätte gefragt ist? Kann Nürnberg in der ersten Bundesliga der Hochschulen bildender Kunst mithalten?
Hans Peter Reuter: Viele Künstler (auch ich) interessieren sich für Fußball. Trotzdem ist dieser nicht mit Kunst zu vergleichen. Es gibt keine Punkte (außer in den Hit-Listen, aber das hat ja ebenfalls nichts mit Kunst zu tun!), keiner siegt, verliert oder malt z. B. unentschieden. Vor allem: Ich male weder gegen, noch für jemanden. Also kann ich mit Rangordnungen und Beliebtheitsskalen wenig anfangen. Für mich ist eine Akademie ein Blumenstrauß oder ein Kaleidoskop verschiedener Möglichkeiten, Kunst auf die Beine zu stellen. Also sollten die Haltungen zur Kunst, die die einzelnen Lehrpersonen vertreten, möglichst vielfältig und qualitätsvoll sein. Dies ist im großen und ganzen in Nürnberg der Fall. Im Vergleich zu anderen (kleinen) Akademien ist unser Angebot sogar besonders vielfältig und auf hohem Niveau. Dazu kommt das gute Klima zwischen den Kolleginnen und Kollegen, das spitze im deutschlandweiten Vergleich sein dürfte. Also: Von der Akademie her, Null Problemo! Wo es aber wirklich im Vergleich zu Köln, Düsseldorf, Berlin oder auch München hapert, ist die Kunstszene Nürnbergs bzw. das Kulturangebot, das die Region den Studenten machen kann. Die große kulturelle Blüte Nürnbergs ist leider nun schon 500 Jahre her. Das Kunstleben wird in Nürnberg von einer handvoll unentwegter Kämpfer aufrechterhalten und aufopferungsvoll gepflegt. Im gesellschafltichen Leben ist die Kunst nicht verankert. Man bemüht sich redlich, aber es wird noch lange dauern, bis Nürnberg für Künstler attraktiv sein wird.
Frage: Was müßte getan werden, um die Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg mehr ins öffentliche Bewußtsein der Stadt Nürnberg zu heben? Was müßte getan werden, um die Akademie überregional besser zu positionieren?
Hans Peter Reuter: Keine Ahnung! Es ist sicher schwierig, das, was wir tun, volksnah unter die Leute zu bringen, die sich für Kunst nicht interessieren. Die Methoden erfolgreicher Werbung, vor allem deren spekulative Sprache verträgt sich nicht mit der ernsthaften und notwendigerweise empfindsamen Haltung, die wir gegenüber unserer Kunst einnehmen müssen. Trotzdem sollte die Akademie im Kunstleben der Stadt eine bedeutende Rolle spielen. Dies sollte auf drei Ebenen passieren. Sie sollte durch Vorträge, Symposien und Diskussionen ein kompetentes Forum für alle die sein, die sich für Kunst interessieren oder sich zu interessieren beginnen. Die Ausstellungshalle wird die praktische Bühne für eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Kunsthaltungen anhand realer Objekte sein. Als dritte Ebene sollte die Akademe viel häufiger öffentlich Stellung beziehen, wenn in der Stadt oder der Region Entscheidungen in Bereichen anstehen, für die die Akademie kompetent ist.
Frage: Studenten äußern immer wieder den Wunsch, daß mehr Transparenz an der Akademie gegeben sein müßte, daß der Klassen-Wechsel leichter gemacht werden sollte. Macht Klassen-Wechsel überhaupt einen Sinn? Oder sollte die Studentin oder der Student besser – die gesamte Studienzeit lang – in einer Klasse eingeschrieben sein?
Hans Peter Reuter: Ich halte wenig von der Heilslehre, die wohl dann und wann von erleuchteten Professoren an ihre Jünger verkündet wird. Ich weise immer darauf hin, daß ich zwar verschiedene Sichtweisen simulieren kann, aber letztendlich doch nur eine Person bin. Richtig gut bin ich eben nur in der mir eigenen Sicht- und Reaktionsweise. Aus dieser Überlegung heraus propagiere ich in meiner Klasse den Klassen-, Akademie- oder gar Kulturkreiswechsel. Nur wenn man etwas anderes kennengelernt hat, kann man einigermaßen sicher sein, daß das, was man gerade als optimale Situation empfindet, auch wirklich das beste für einen ist. Der Klassenwechsel ist in der Nürnberger Akademie denkbar einfach. Es gibt keinerlei administrative Hürden. Trotzdem kommen sich offensichtlich viele der Studenten, die wechseln wollen, wie Fahnenflüchtige oder gar wie Verräter vor. Daran ist aber nicht das System der Klasse schuld, sondern die unterschiedliche Ausformung der persönlichen Beziehung (oder Abhängigkeit?), die zwangsläufig bei einer längerdauernden Zusammenarbeit zwischen Professor und Student in einem kleinen Klassenverband aufgebaut wird. Was besser ist, das Klassensystem oder ein professionelles Nomadensystem, ich weiß es nicht. Ich finde das Klassensystem im Kunststudium sinnvoll, da es das eine anbietet, ohne das andere zu verhindern. Voraussetzung ist, daß ein gewollter Klassenwechsel leicht möglich ist, dann kommt es wirklich nur darauf an, was die Studenten daraus machen.
Frage: Wenn man als Künstler selbst erfolgreich ist, mithin dank eines international renommierten Galeristen wie Hans Mayer, Düsseldorf, bestens etabliert ist, kann man dann als Professor etwas für den begabten Nachwuchs tun? Gibt’s Flankenschutz und Rückendeckung für Reuter-Absolventen, wenn sie nicht im sicheren Kunsterzieher-Hafen landen, sondern sich in freier Wildbahn behaupten müssen?
Hans Peter Reuter: Natürlich ist ein Flankenschutz und Rückendeckung für die freie Wildbahn möglich. Etwa 70 % der Abgänger (der größere Teil ohne Schule, der kleinere Teil trotz Schule) versuchen, auf dem Kunstmarkt Fuß zu fassen. Ich versuche sie, soweit ich von ihrer Arbeit überzeugt bin, nach Kräften zu unterstützen. Die Möglichkeiten sind jedoch begrenzt. Sie werden von außen und meist auch von denen, die man fördern will, oft überschätzt. Ich kann nicht mehr tun, als Türen zu öffnen. Durch die Tür hindurchgehen müssen die Einzelnen schon selbst. Und was sie nachher mit dem Umfeld machen, in das sie getreten sind, ist sowieso ihre Sache. Wie jeder gute Galerist braucht Hans Mayer etwa eine zehntel Sekunde, um zu entscheiden, ob die vorgelegten Arbeiten ihn für seine Galerie interessieren oder nicht. Also kann ich nicht mehr für meine Studienabgänger tun, als dann und wann (möglichst nicht inflationär) den einen oder anderen, von dem ich denke, daß es passen könnte überhaupt in das Blickfeld von Hans Mayer zu heben. Der Rest ergibt sich, oder eben nicht! Es kann nie mehr als eine Anschubfinanzierung sein. Nebenbei reagieren Galeristen und Vermittler sehr allergisch, wenn sie sich gedrängelt oder gar erpreßt fühlen. Das schlägt dann später gegen den Geförderten zurück. Außerdem schadet eine gewisse Overprotektion auf die Dauer nur. Es gibt manche, die bleiben immer genau dort stehen, wo man sie mit viel Anstrengung hingeschoben hat. Hier sollte man sich schnellstens von seinen Förder-Illusionen verabschieden.
Frage: Zum Jahrtausendwechsel, 1999/2000, so ein Gerücht, will das Ministerium in München beiden bayerischen Kunsthochschulen jeweils eine Million Mark zur besonderen Verfügung spendiern. Was sollte sich die Nürnberger Akademie, wenn’s wirklich so wäre, für eine satte Million leisten? Was steht ganz oben auf der Wunschliste?
Hans Peter Reuter: Ich glaube zwar, daß dies ein Märchen ist, aber trotzdem: Einen Teil würde ich dafür verwenden, die Ausstellungshalle wirklich voll fertigzustellen und funktionstüchtig zu machen. Den zweiten Teil würde ich für eine souveräne Bespielung der Halle und für den Aufbau einer regen Vortrags- und Symposiumkultur vorsehen (ohne die teils peinlichen Sparzwänge, die eine großzügige Haltung gegenüber den eingelandenen Gästen derzeit nicht zulassen). Den (bedeutendsten) dritten Teil würde ich in den Ausbau der Neuen Medien investieren. Hier gibt es genügend Bedarf.
Veröffentlicht im Semesterbericht von Prof. Karlheinz Schmid, Wintersemester 98/99, Regensburg 1999
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