Interviews mit Reuter
Gespräch mit Michael
Schwarz, 1975
Gespräch zwischen Michael Schwarz und Hans Peter Reuter am 17. November 1975.
Teil 2
Schwarz: Und auf wieviele Blaustufen kommen Sie?
Reuter: Das kann ich zahlenmäßig nicht so angeben... Vielleicht doch – ich habe Kontrollstreifen, auf denen ich immer die Blaustufen nacheinander auftrage. Auf diesen Streifen probiere ich aus, welche Blaustufe ich z. B. nehmen muß, um den richtigen Anschluß an eine Fläche zu finden, die ich vielleicht schon drei Wochen vorher gemalt habe. Auf dem Bild ist ja eine Korrektur nicht möglich. Anhand dieser Streifen würde ich schätzen, daß es für mich zwischen 100 und 120 gut unterscheidbare Blaustufen gibt. Dazu kommen dann noch die Zwischentöne, die auf dem Bild jedoch kaum festzustellen sind. Denn es ist manchmal wirklich verblüffend, wie gleichmäßig und fast monochrom eine Fläche im Bild aussieht. Hält man aber ein Tiefblau daneben und fährt über die Fläche hinweg, merkt man plötzlich, daß z. B. das linke untere Blau, von dem man meint, es wäre ziemlich gleich wie das rechte obere, um manchmal 10 bis 20 Helligkeitsstufen dunkler ist. Nur, das Auge merkt das, durch den allmählichen Übergang, überhaupt nicht. Gerade das ärgert mich manchmal an der Perfektion. Oft sehen viele Farbabläufe in einer Fläche – gerade weil sie mit soviel Mühe fast übergangslos gemalt sind – so richtig schön selbstverständlich aus. Man denkt dann, ach ist die aber schön glatt gemalt und glaubt, sie wäre nicht nur einfarbig, sondern auch noch ohne Tonmodulation, d.h. eintönig. Während meiner Akademiezeit gab es einen beliebten Ausdruck: Valeur. Die Professoren waren immer ganz entzückt, wenn viele schöne Valeurs in einem Bild waren. Daher kommt es wohl, daß ich heute noch ärgerlich werde, wenn jemand behauptet, meine Bilder hätten keine Valeurs.
Schwarz: Nun, ich meine, solange sie noch so weiter malen wollen, wird Ihnen das Malen niemand abnehmen können, aber es wäre doch denkbar, daß Sie diese 100 oder 120 Blautöne irgendwo in Auftrag geben, schön numerieren, neben der Staffelei aufbauen und dann auftragen.
Reuter: Na ja, man weiß ja nie, was man nicht noch alles macht, aber derzeit ist das für mich ein unmöglicher Gedanke. Einzige Ausnahme wäre, falls es sich um eine überdimensionale Arbeit, z. B. an einer Wand, handelt, die ich nicht allein bewältigen könnte. Dort müßte ich zu solchen Mitteln greifen, aber für meine Bilder kommt das nicht in Frage. Da bin ich ein echter Handwerksfetischist. Alles muß von mir selbst stammen und es dürfen möglichst wenige technische Hilfsmittel zwischen mir und dem Bild stehen. Manchmal wurde schon gesagt: Na, das ist ja ganz schön, wie Du das machst, die Zeichnung finde ich ja auch toll und sehr schwierig, aber das Malen des Bildes muß ja irre monoton sein, denn da füllst Du ja, wie in einem Musterbogen, Platte für Platte einfach aus, und das bis zu 6000mal. Das stimmt natürlich überhaupt nicht, denn – wie schon gesagt – gleiten mir die Abläufe dauernd aus der Hand und ich muß schon sehr konzentriert arbeiten, um am Ende einer Fläche genau bei dem Farbton anzukommen, der für die anschließende Fläche richtig ist. Dabei muß ich immer das Gesamtsystem im Auge behalten, um keine bildentscheidenden Fehler zu machen. Dadurch bleibt das Bild aber auch lebendig, während es im anderen Fall, also mit der Methode, alles in Zahlenreihen aufzugliedern und dann die entsprechend vorgemischten Farben einzusetzen oder einsetzen zu lassen, sofort jegliches Leben verlieren und eine gebrauchsgrafische Glätte erhalten würde.
Schwarz: Wir haben die ganze Zeit über Farben geredet und über den Malprozeß, jetzt würde ich doch endlich eine Frage zum Raum stellen. Die Raumkonstruktion scheint mir bei Ihnen in den letzten Jahren komplizierter geworden zu sein. Entwicklen Sie die Idee für eine neue Raumanlage ausschließlich aus eigenen früheren Werken oder gab bzw. gibt es auch Anregungen von außen. Haben Sie wirkliche Räume gesehen und die Erfahrung aus diesen Räumen in die gerade anstehenden Bilder eingebracht?
Reuter: Also, es stimmt nicht ganz, daß meine Räume immer komplizierter geworden sind. Es ist ein Hang bei mir zu verspüren, daß sie komplizierter werden, aber ich versuche immer dagegen anzukämpfen, in dem ich mich bemühe, öfter mal einen ganz einfachen Raum zu machen. Anstrengen muß ích mich, weil mir normalerweise bei der Raumkonzeption – unter der Hand – immer neue Nischen, Pilaster und sonstige Unterteilungen in den Raum hineinrutschen, die für die Plastizität durch Licht und Schatten sehr nützlich sind und auch emotionale Empfingungen auslösen. Das alles wegzulassen und einen Raum zu finden, der einfach und trotzdem interessant ist, vor allem aber eine psychologische Ausstrahlung besitzt, das fällt mir, wie gesagt, sehr schwer, so daß ich wohl in der Gesamtheit schon sagen würde, daß die Bilder wirklich komplizierter geworden sind. Wie ich zu der Raumkonzeption rein technisch komme, habe ich ja schon bei der Vorzeichnung beschrieben. Jetzt bleibt wirklich die Frage, woher kommen die Einfälle, was beziehe ich dabei von außen. Ich schaue mir natürlich in der Realität jeden Raum genau an, der mir in die Quere kommt. Dann besitze ich einige einschlägige Fachliteratur, wie z. B. "Transparenz und Masse", "Passagen" oder ein Buch über italienische Villen. Außerdem sammle ich alles Material aus Zeitschriften, das sich mit Bädern, Wasser, Fliesen, Gußeisenarchitektur oder mit Licht im allgemeinen beschäftigt.
Schwarz: Haben Sie schon mal direkt nach Fotovorlagen gearbeitet?
Reuter: Nein, nach Fotos arbeite ich grundsätzlich nicht. Hier ist es ähnlich wie bei der technischen Ausführung. Ich kann zwar von außen angeregt sein, aber alles, was dann in die Bilder gelangt, muß mein ureigenstes Produkt sein. Wenn es schon nicht eine totale Eigenerfindung ist, so muß das jeweilige Bildteil durch einen langen Verdauungsprozeß von mir assimiliert sein. Dann bin ich sicher, daß ich mich darauf verlassen kann, daß es jederzeit wieder verfügbar ist.
Schwarz: Zuletzt haben Sie ja ganz schön beschrieben, daß Ihre Bilder im Kopf entstehen und eben nicht nach Vorlagen. Das bringt mich zu der Behauptung, daß die Räume, die sie entwerfen, doch recht künstlich sind. Ich meine, das liegt an verschiedenen Stilmitteln, die Sie ganz bewußt einsetzen, so z. B. an der konsequenten Verwendung von Blaustufen, dem Einsatz übergenauer Schattenflächen, im Aufbau symmetrischer Bildräume und in der hohen Perfektion der malerischen Ausführung. Sehe ich das richtig, und wenn ja, welche Aussage streben sie mit der Künstlichkeit der Räume an?
Reuter: Da würde ich zuerst einmal sagen, daß noch ein Stilmittel fehlt, das ich ganz bewußt verwende, nämlich die Untersicht. Ich lege den Fluchtpunkt immer relativ tief an, so daß der Betrachter den Eindruck hat, er wäre sehr klein. Hierdurch erreiche ich auch, neben einem gotischen Raumeindruck ein Nach-oben-ins-Licht-Schauen, was ja schon fast ein sakraler Aspekt ist. Mit der Künstlichkeit, da habe ich so meine Zweifel. Sicher, klar, es sollen keine realen Räume sein. Das wäre mir einfach zu platt. Außerdem glaube ich, daß ein künstlicher Raum mit viel mehr Emotionen beladen werden kann als ein total naturalistischer. Andererseits soll er nätürlich auch nicht den Bezug zur Realität verlieren. Ich glaube nämlich, daß diese Nähe zur Realität vor allem ungeübten Betrachtern, die sich nicht so eingesehen haben, wie viele Kunstprofis, den Einstieg in meine Bilder sehr erleichtert. Der erste Schritt ist einfach, daß alles deutlich zu erkennen ist. Somit kann dann die zweite, mehr psychologisch-inhaltliche Schicht zu wirken beginnen, da der Betrachter ja durch die erste realistische Schicht, wie durch eine Klette, festgehalten wird. Die Psychologie reitet also auf einem vermeintlichen Realismus.
Schwarz: Im zweiten Teil Ihrer Antwort haben Sie zugegeben, daß die Leute ihre Mühe haben und sie haben ihre Mühe, weil diese Räume nicht begehbar sind, es bleiben eben Bildräume. Es sind Räume, die in Ihrem Kopf entstehen und die, wenn sie fertig sind, nur sehr indirekt etwas mit Realräumen zu tun haben.
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