Konkrete Illusion – Zur Ausstellung Sieben Räume – Sieben Bilder
in der Kunsthalle Nürnberg 1996
Diese Ausstellung einzelner Bilder von Hans Peter Reuter in den einzelnen Räumen der Kunsthalle Nürnberg hat sich Schritt für Schritt aus einer Folge von Gesprächen zwischen Künstler und Kunsthistoriker entwickelt. Auf der einen Seite stand Hans Peter Reuters Malerei, die im Bilde architektonische Räume erstehen läßt, auf der anderen Seite die sieben Säle der Kunsthalle Nürnberg, die sich bei jeder Ausstellung aufs neue – in ihren jeweils individuellen Abmessungen und Proportionen ebenso wie in der Dramaturgie ihrer Abfolge – als ein außergewöhnliches Raumgefüge erweisen. Von beiden Seiten her, im Interesse der Bilder ebenso wie im Interesse der Räume, schien es zu wenig, einfach nur Bilder in die Räume zu hängen. Es sollte eine besondere und unverwechselbare Beziehung entstehen zwischen diesen Bildern mit ihrem räumlichen Anspruch und ihrem architektonischen Thema und diesen Räumen mit ihren architektonischen Bezügen, etwas, das nur dieser Maler mit seinen Bildern an diesem einzigen Ort erreichen konnte. Wie allerdings das zu bewerkstelligen war, lag alleine in den Händen des Malers. Es nahm seinen eigenartigen und eigenwilligen Weg.
Hans Peter Reuter hat für seine Bilder in den sieben Räumen der Kunsthalle Nürnberg eine detaillierte Choreographie entwickelt und danach für jeden Raum ein oder zwei Bilder gemalt. Der Titel Sieben Bilder- sieben Räume ist nicht ganz wörtlich zu nehmen, denn im Endergebnis wurden es sieben große Bilder in fünf Räumen sowie am Anfang der Raumfolge ein leerer Raum ohne Bild und am Ende ein Raum voller schwebender Bildobjekte. Sowohl die Choreographie – die Bewegung des Betrachters durch die Ausstellung hin und zurück – als auch die einzelnen Bilder werden in diesem Katalog bis in alle Einzelheiten dargestellt. Die Folge der kleinen Innenraumphotos zeigt, daß die Bilder der Ausstellung virtuell bereits existierten, bevor sie zur Ausführung kamen. Der allgemeine Oberbegriff dieser Ausstellung ist Raum. Das spricht sich sehr leicht aus, führt uns jedoch sogleich in vielfältige Verwirrungen, denn von welchem Raum reden wir eigentlich? Wir haben es mit dem architektonischen Raum zu tun, den tatsächlichen Räumen, für die der Maler seine Bilder geschaffen und auf die er sie bezogen hat. Wir haben es weiterhin mit den verschiedenen in den Bildern mit Mitteln der illusionistischen ultramarinblauen Malerei zur Erscheinung gebrachten Räumen zu tun, die von jeweils unterschiedlichem Charakter sind. Schließlich müssen wir uns mit dem Begriff des Raumes auseinandersetzen, wie er in der Malerei allgemein erlebbar wird, auch wenn diese nicht illusionistisch architektonische Räume abbildet oder neu formuliert. Spätestens seit Josef Albers, der daraus (in seiner über zwanzig Jahre lang ausgearbeiteten Serie der Huldigungen an das Quadrat) ein zentrales Thema seiner Malerei gemacht hat, wissen wir, daß auch ungegenständlich flächenhafte Bilder ein Raumerlebnis vermitteln – das liegt in der Natur der Farbe –, und ein Maler wie Leon Polk Smith, der in der Tradition von Piet Mondrian und Hans Arp ausschließlich mit farbigen Flächen und Linien arbeitet, faßt all sein künstlerisches Tun in dem Satz zusammen, daß er mit seiner Malerei Raum in der Fläche schaffe. Aus der Kunstgeschichte kennen wir – vor allem im Manierismus und im Barock – Ansätze zu einer illusionistischen Malerei, die vorsätzlich die ästhetische Grenze zwischen dem Raum, in dem sich der Betrachter aufhält, und dem Bild, auf das er schaut, aufhebt. Das Ziel einer solchen Malerei ist Augentäuschung. Mit Hilfe einer illusionistischen Malerei und mit sogenannten Trope-l’oeil-Effekten wird dem Betrachter vorgespiegelt, sein Raum setze sich nahtlos in den Bildraum hinein fort. In dieser Ausstellung sehen wir sofort, daß es dem Künstler gerade darum nicht geht. Nichts will den Betrachter täuschen, nichts will ihm vorspiegeln, er könne in den gemalten Raum hineintreten. Der Betrachter steht den Bildern gegenüber, und der illusionistisch erzeugte Raum in den Bildern ist eindeutig ein anderer als derjenige, in dem er sich aufhält. Die beiden Räume stehen sich eigenständig und eher fremd gegenüber.
Reuters Bilder hängen an der Wand und ragen als Objekte in den realen Raum. Sie treten dem Betrachter als in sich abgeschlossene, autonome Kunstwerke entgegen, nicht anders als vergleichbar körperhaft auftretende ungegenständliche Bilder eines Frank Stella. Das Zwiegespräch zwischen den räumlich zu erlebenden Bildern und dem Raum des Betrachters spielt sich auf einer eigenen Ebene ab. Es ist das klassische Zwiegespräch zwischen dem einzelnen Betrachter und dem einzelnen Kunstwerk. Das Bild mit seiner architektonischen Illusion gehört sich ganz allein, der architektonische Raum aber gehört dem Betrachter für seine Auseinandersetzung mit diesem Bild. Darauf stützt sich die Idee des Künstlers, daß während einer Stunde des Tages nie mehr als eine Person sich in der Ausstellung aufhalten soll.
Die Beziehung des Betrachters zum ausgestellten Bild ist immer räumlich beeinflußt. Barnett Newman hat sich dazu geäußert, daß man seinen breitwandigen Bildern so nah gegenüberstehen müsse, daß man sie nicht mit einem Blick überschauen könne, daß man sich gewissermaßen mitten in ihnen befinden müsse, und seine Interpreten haben vielfältig darüber gestritten, ob man diese Nähe zum Bild durch die Hängung erzwingen müsse oder ob sie sich aus der Anziehungskraft des Bildes von alleine ergäbe. Hans Peter Reuter hat für sich in dieser Ausstellung die Frage beantwortet, indem er das Verhältnis von Bild und Raum in jedem einzelnen Falle selbst reflektiert und festgelegt hat.
Der Raum, um den es in der Malerei geht, ist einzig und allein eine Sache des Bildes. Dieses Bild ist so autonom wie eine konkrete Komposition oder - um das Ultramarin aufzunehmen, das schließlich alle diese Bilder trägt - wie eine Monochromie von Yves Klein. Es existiert für sich und bleibt dasselbe an jedem Ort. Der mit Mitteln der illusionistischen Malerei hergestellte Raum im Bild ist eine Ausdrucksformel. Er bildet keinen real erlebten Raum ab. (Wenn wir seine Darstellung illusionistisch nennen, so heißt das nur, man könnte ihn in dieser Form auch bauen, und wenn man ihn so baute, könnte er so aussehen, wie er im gemalten Bild erscheint.) Er ist eine vom Künstler entwickelte Formel, die der Künstler so weit entwickelt und differenziert hat, daß sie zu sehr verschiedenen und sehr genau unterschiedenen Formen des Ausdrucks fähig ist. Man frage jetzt nicht, was dieses oder jenes Bild ausdrückt. Hans Peter Reuter, der ein großer Liebhaber und Kenner von Lyrik ist, würde Gedichte schreiben, wenn er sich in Worten ausdrücken wollte. Das gerade macht das autonome Kunstwerk aus, daß es in seiner bildnerischen Sprache seinen Ausdruck entwickelt, der in keiner anderen Sprache zu äußern ist. Der Künstler selbst erklärt seinen Umgang mit der Illusion verschiedener Räume und der Wucht der Farbe Ultramarin mit seiner Unersättlichkeit auf Malerei, die nicht allein aus Farbe, sondern auch aus den Ausdrucksmöglichkeiten der gemalten Räume bestehen soll - was auch immer die zeitgemäße Kunstkritik dazu sagt -, und aus der Verbindung von konkreter Kunst und illusionistischer Malerei wird konkrete Illusion.
Lucius Grisebach, Nürnberg 1996
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