ROTTWEILER ERSCHEINUNG
Bemerkungen zu einer ‚ephemeren’ Arbeit Hans Peter Reuters
Mehr, als man gemeinhin denkt, haben Bilder der Kunst nicht nur illustrierend oder interpretierend den Glauben und die Frömmigkeit der Christen begleitet und die Begebenheiten und Geschichten der Heiligen Schrift zur Darstellung gebracht; etwa für diejenigen, die, wie man früher irrigerweise meinte, des Lesens nicht kundig oder sonst irgendwie unterbelichtet, gleichsam unterstützender Hilfsmittel und Eselsbrücken bedurften. Dann sprach man von einer ‚Biblia pauperum’. Aber das ist nur ein Aspekt, und vielleicht nicht der wichtigste.
Denn in der Frage nach dem Nutzen und dem Risiko der Bilder geht es nicht nur um Darstellungsformen, um Ikonographie, um Stile und deren mehr oder weniger passende Eignung für die Wiedergabe religiös belangvoller Dinge, Episoden oder Gestalten. Gerade der in der Geschichte immer wieder aufflackernde, mitunter sehr heftige Streit um die Bilder macht auf seine Weise deutlich, dass mehr auf dem Spiel steht als bloß mehr oder weniger geeignete katechetische, homiletische, also pädagogische Hilfsmittel; stets ging es, stets geht es – und zwar theo-logisch im Vollsinn des Wortes – ums Eingemachte dabei und ums Wesentliche.
Denn nicht nur die Worte, auch die Bilder sprechen eine, sprechen
ihre Sprache. Zugleich eignet dem Bild eine besondere Qualität. Es kann auf unübertreffliche Weise vergegenständlichen. Objektivieren nennt man das auch. Und solche Vergegenständlichung schafft eine ganz eigentümliche
Präsenz. Die kann so weit gehen, dass man von
Evidenz sprechen kann, von einer das Vorstellungs-, Denk- und Empfindungsvermögen dermaßen in Anspruch nehmenden
Überwältigung, dass am Ende womöglich nur noch das ‚So-und-nicht-anders’ übrig bleibt. Auch das fällt dann unter den Begriff der
Erscheinung.
Etwas abstrakter gesprochen eignet Bildern die Kraft, Unsichtbares sichtbar, sehbar werden zu lassen oder, mit anderen Worten, Nicht-Anwesendes zur Anwesenheit zu bringen, so dass es
erscheint. Und in diesem
Erscheinen verwirklicht sich etwas. Das aber, dass im Bild, dass durch das Bild Wirklichkeit gegeben oder erzeugt werden kann, in dieser Potenz und Kraft und Mächtigkeit, die mit dem Schöpferischen verbunden ist und mit der die Kunst gleichsam das Göttliche streift, ist zugleich Quelle eines durchaus berechtigten Misstrauens. Dabei geht es um den
Schein der
Erscheinung, um das, was diese möglicherweise prätendiert, und um das Täuschungspotential ihres
Als ob. In der Tiefe solcher Ambivalenz wurzelt immer wieder die Kritik am Bild. In welch ungeahntem Ausmaß Bilder wirklichkeitskonstituierend werden können, erleben wir heute, im Medienzeitalter, tatsächlich und tagtäglich und wissen es – jenseits aller Kunst. ‚Die Welt’ – so bemerkte ein Autor schon in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts – habe ‚sich ein Fotografiergesicht zugelegt’, und was solchermaßen nicht ins Bild zu bringen ist, ist nicht wirklich, ja erscheint inexistent. Man könnte diese Spure weiter verfolgen in global multiple Kontexte hinein, aber die Andeutung mag hier genügen.
Sie mag genügen auch für den Hinweis darauf, wie es denn kommt, dass das
Erscheinen des Bildes und der
Schein der Bilder, gerade im religiösen und im kultisch-liturgischen Kontext, beunruhigen. Schon in der Antike, bei Platon und anderen Autoren, finden wir Spuren solcher Kritik und des Misstrauens gegenüber Bildern. Und aus der Welt der Religionen ist sie uns geläufig bis zum Verbot der Bilder und zum Bildersturm. Solche Kritik zieht sich wie ein immer wieder sich rötender Faden durch die Glaubenswelt des Alten Testaments und des Judentums mit deren nicht unberechtigter Furcht und frommem Abscheu vor dem Vergottungsrisiko und dem Aberglauben der Götzenverehrung, der Verehrung von Bildern (idola): Idolatrie heißt der Fachausdruck dafür. Die Spur läuft weiter durch die Zeit der Christentums- und Kirchengeschichte, zumal der ersten Jahrhunderte, bis herauf in die Kritik einiger der Reformatoren am ‚Götzendienst’ der byzantinischen und vor allem der römisch geprägten Christenheit und ihrer Bilderverehrung.
Nicht also nur die Anstößigkeit von Bildern, sondern gleichsam ihre illusionistische Mächtigkeit und die darin pulsierenden objektiven und subjektiven Täuschungspotentiale spielen hier eine Rolle. Daher ist es vielleicht nicht bloß ästhetische Inkompetenz und Unbedarftheit, wenn gerade auch in kirchlichen Kreisen oft nur die überkommen-vertraut-gewohnten Bilder als ‚kirchentauglich’ gelten, andere hingegen auf mitunter heftige Ablehnung stoßen.
Nun wird man letzteres in Rottweil und an diesem Ort, dem altehrwürdigen Heilig-Kreuz-Münster, vielleicht weniger zu befürchten haben. Da ist man schon etwas abgehärtet. Denn hier gibt es meines Wissens seit nunmehr 15 Jahren, und zwar gerade in der geprägten Zeit des Kirchenjahrs auf Ostern zu, erfolgreiche Bemühungen um, wenn ich das vereinfachend so nennen darf,
neue Ansichten zum Kreuz und seinen Spuren. Vielleicht wirkt hier auch das Veit Stoß zugeschriebene Kruzifix, das ja zu den Glanzstücken dieser Kirche gehört, auf seine Weise qualitätsfördernd. Immerhin ist, was Rang und Namen der Künstlerinnen und Künstler angeht, die Liste der bisher Beteiligten respektgebietend und eindrucksvoll. Auch heuer finden diese Bemühungen eine Fortsetzung. Und mit Hans Peter Reuter ist dafür ein Künstler von internationalem Rang gewonnen worden: ein Maler, der mit seiner nur am Karfreitag gezeigten ROTTWEILER ERSCHEINUNG eigens für dieses Projekt gearbeitet hat.
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