Chaos und Ordnung
A. Ehrmann-Schindlbeck
Kunst und Kult
Christian Demand
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Texte über Reuter
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Klaus Honnef
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Konkrete Illusion
Lucius Grisebach
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Klaus Gallwitz
ROTTWEILER ERSCHEINUNG
Bemerkungen zu einer ‚ephemeren’ Arbeit Hans Peter Reuters
Teil 4


Vielleicht ist auch Hans Peter Reuters ROTTWEILER ERSCHEINUNG eine von diesen einmaligen. Zunächst wohl für ihn selbst, nämlich im Hinblick auf das Ereignis, auf die Konstellation, in der er vom ‚Kommen der Bilder’ bzw. vom ‚Kommen dieses Bildes’ sprechen könnte, insofern dieses ja nichts Vor- und Zuhandenes ist, sondern etwas, das ihm gekommen ist, etwas, das auch auf ihn zukommt. Das Malen ist – mit einem 8er Aquarellpinsel ist das ganze, riesige Rottweiler Bild gemalt worden, zwei Wochen lang – das Malen ist dann gleichsam so etwas wie die körperlich unumgängliche, jedenfalls für den Maler unumgängliche Ermöglichungsbedingung dieser Art von geschärftester Aufmerksamkeit, für die das, was wir dann Bild nennen, in Erscheinung tritt. Ein einmaliger Vorgang, auch für ihn. Einmalig dann aber vor allem auch für die Betrachter, denn das Bild ist nur heute – am Karfreitag (6. April 2007) – zu sehen. Mit anderen Worten jetzt – ‚das ist heute’ – ist die Erscheinung.

Ein anderes Wort für Erscheinung heißt Phänomen. In diesem Sinn können wir die ROTTWEILER ERSCHEINUNG auch phänomenal nennen: da erscheint wirklich etwas Einmaliges. Denn es ist schon ein Phänomen, dass aus dem immer gleichen Pigment des Ultramarinfarbstoffs sich etwas entwickelt, das diese Farbe, die ja selbst die Farbe der Transzendenz ist, noch einmal transzendiert in eine Weißerscheinung hinein, die aber aus nichts anderem ‚gemacht’ ist und also keineswegs bloß aufgemalt wurde als Kreuz.

Nun gehört das Kreuz ja selbst zu den Christusbildern, ist sozusagen deren symbolisch verdichtetste, älteste, ursprünglichste Form. Aber die wird hier eben nicht bloß zeichnerisch eingesetzt, auf- oder übergestülpt wie so oft, sondern entwickelt; sie entsteht aus dem Malprozess selbst heraus. Was vorhin zum Ineinander von Göttlichem und Menschlichem im Geheimnis der Inkaranation zu sagen war – auch dieses ist, so weiß der Glaube, nicht im Verborgenen geblieben, sondern manifest geworden in einmaliger Erscheinung – das lässt sich vor Hans Peter Reuters ROTTWEILER ERSCHEINUNG aufnehmen mit den Worten des 104. Psalms, in dem von Gott die Rede ist und davon, dass er einer sei, „der das Licht um sich schlingt wie ein Tuch, das Himmelsblau spannt wie einen Zeltteppich“. Der solchermaßen zur Erscheinung Gelangende aber ist gegenwärtig in der Weise einer nicht weiter aufzulösenden Aporie, für die das Kreuz nicht nur Sinnbild ist, sondern Möglichkeits- und Gegenwartsbedingung in einem, und zwar logisch und logoshaft. Diese Logik erscheint selbst je und je als Kreuz, das so zum Anschauungs-, zum Andachts-, zum Denkbild wird, zum Prägezeichen für die Getauften, zum Kennzeichen und zur Last christlicher, menschlicher Existenz von Gott her, übrigens einem ‚leichten Joch’. Auf die endlich-endzeitliche Erscheinung dieses Zeichens und der in ihm bezeichneten Wirklichkeit geht alles zu; sie scheint auf im Lichtritus der Osternacht (lumen Christi) und wird verkündet im Jubel des Osterfests. Vielleicht so, wie die oberschwäbische Dichterin Maria Menz es stammelnd bedenkt:

Einmal, wenn es aufgeht in das End’,
schenk mir Deine leuchtende Verbündung,
tritt heraus in Deinem Angesicht
mit der einen sichernden Verkündung:

du bist mein!
Und ich lehne mich darein
Unterm Rumpf des steigenden Zerfalles,
und ich sinke ... aber gut ist alles – –


Michael Kessler, 2007


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Rottweiler Erscheinung
Michael Kessler