Chaos und Ordnung
A. Ehrmann-Schindlbeck
Kunst und Kult
Christian Demand
TEXTE
Texte über Reuter
Reuters Raster
Götz Adriani
Die Zeichnungen
Klaus Honnef
Die Aquarelle
Eduard Beaucamp
Konkrete Illusion
Lucius Grisebach
Reuters Räume,
Reuters Sterne
Klaus Gallwitz
ROTTWEILER ERSCHEINUNG
Bemerkungen zu einer ‚ephemeren’ Arbeit Hans Peter Reuters
Teil 2


Dass Kunst Arbeit ist, belegen Technik und Format dieses – ungeachtet seines monochrom wirkenden ersten Anblicks – in minutiösester Komplexität mit kostbarem, ultramarinem Pigment auf Leinwand in gut hundert Tönungen ausgeführten Gemäldes in seinem mit 6 x 4 ½ Metern riesigen Format. Dass Ultramarin als etwas Kostbares zu gelten hat, bestimmt nicht allein der Preis. Es war und ist die Farbe der Transzendenz, also für das Durchscheinende, Aufscheinende, Erscheinende schlechthin. Und bei Reuter ist es zudem das patentierte Blau des Yves Klein. Ein Blau, das inzwischen – nämlich seit nunmehr über dreißig Jahren – die Farbe Hans Peter Reuters geworden ist, den man deshalb bisweilen geradezu als ‚den blauen Reuter’ bezeichnet hat. Wenn ich sage, es ist die Farbe Reuters, dann klingt das schlicht, wenn nicht gar simpel. Aber das ist es mitnichten, und wer es nur so sehen wollte, der übersieht, dass die eine Farbe in der präzise ermittelten, ja kalkulierten Anwendung ihrer Derivate ein Universum darstellt, und zwar ein unerschöpfliches; ein Universum, aus dem heraus die Bilder erscheinen – auch dieses Bild erscheint.

Insofern haben wir hier – und das wird sich in puncto Farbigkeit mit der dann zu Ostern 2007 als ROTTWEILER BLAU am gleichen Ort einzubringenden Installation fortsetzen – schon eine erste Dimension zu beobachten, für die der mehrdeutige Begriff ‚Erscheinung’ steht: nämlich die eines zur Erscheinung gelangenden Universums oder auch einer universellen Erscheinung. Das passt schlecht zu dem in meinem Untertitel verwendeten Stichwort einer ‚ephemeren’ Arbeit. Aber der Ausdruck ‚ephemer’ ist für die Qualität dieser Arbeit und damit auch für die Qualität oder Dignität der durch sie bewirkten oder evozierten Erscheinung nicht von Belang; er bezeichnet nur den Umstand, dass diese Arbeit nur einen Tag lang zu sehen sein wird, also erscheint und wieder verschwindet. Man kann dabei an so etwas denken wie die ‚memoria hospitis unius diei praetereuntis’ – die Erinnerung an einen, der Gast nur für einen einzigen Tag gewesen sein soll. Tatsächlich sind ja bedeutende Erscheinungen auch nichts Alltägliches, sondern etwas mit Seltenheitswert. Und so mag es durchaus sein, dass manchem der Seltenheitswert oder das Exzeptionelle an dieser ROTTWEILER ERSCHEINUNG erst dann aufgehen wird, wenn diese bereits vorüber ist.

Übrigens ist im christlichen Glauben dauernd von Erscheinung die Rede: An Weihnachten wird die Freude darüber laut, das „er erschienen“ sei – der Messias, der Retter der Welt. Ein eigenes Fest – im Volksmund der Dreikönigstag – heißt Erscheinung – griechisch: Epiphanie, das mit der Jordantaufe verbundene Theophanie-Fest der Orthodoxie. Und gar in den Ostertexten ist andauernd von Erscheinungen die Rede, beglückenden ebenso, wie furchteinflößenden.

Wenn soeben davon die Rede war, dass allein aufgrund ihrer Malweise und Farbigkeit diese große und großartige Arbeit Reuters ein universelles Spektrum eröffne, so lässt sich dieser Gedanke in andere Dimensionen hinein weiter verfolgen. In der 2000jährigen Geschichte des religiösen Bildes in unserem christlichen Kulturkreis ist zunächst und vorrangig vom Christusbild zu sprechen. An ihm haben sich die vorhin angedeuteten Fragen nach der Natur des Bildes überhaupt und seiner Möglichkeit bzw. Zulässigkeit im sakralen Raum je und je entzündet. Dabei geht es nicht nur – oder jedenfalls nur in abgeleiteter Weise – um Fragen der physiognomischen Ähnlichkeit und/oder historischen Echtheit. Die wendungsreiche Geschichte der Bildsuche und der Bildfindungen auf diesem Gebiet reflektiert ein besonderes Problembewusstsein, auch wenn es manchmal zu abrupten Fixierungen kam.

Im ganzen wird man sagen können, dass es dabei um zentrale und elementare theologische und anthropologische Fragen ging – und geht: nämlich um nicht mehr und nicht weniger als um die Suche nach einem Zugang zum Geheimnis des Göttlichen in menschlicher Inkarnation. Also um etwas ebenso Unergründliches wie Paradoxes. Bekanntlich ist nach dem Zeugnis der neutestamentlichen Überlieferung die ‚Logik des Kreuzes’ schon zu Lebzeiten der Apostel ein ‚Ärgernis für die Juden’ und eine ‚Torheit für die Heiden’ (vgl. 1 Kor 1, 23); eine Torheit auch für die Philosophen, also für die intellektuelle Elite seiner Zeit, die, wie wir gleichfalls von Paulus erfahren, ‚Weisheit’ sucht. Das redupliziert sich nolens volens auf der Ebene des Bildes. Denn was ‚repräsentiert’ das Bild, wenn es diese ‚Logik’, diesen Logos (logos tou staurou) zu zeigen versucht? Repräsentiert es überhaupt etwas, oder präsentiert es bloß? Sei dem, wie ihm wolle – vielleicht geht ja beides? – aber womit können wir es vergleichen, woran können wir es überprüfen, wenn doch gerade das, was das Bild zeigt, mit dem, wofür das Bild steht, nicht identisch ist, nicht identisch sein kann, wenn letzteres das per definitionem Ungegenständliche ist – nämlich das Geheimnis dessen, den ‚noch keines Menschen Auge’ gesehen hat, wie es an anderer Stelle heißt.

Leicht zu bemerken, dass man da – als Künstler wie als Betrachter und erst recht als Verehrer – ganz schön ins Schleudern kommen kann. Deshalb die fast hartnäckig zu nennende Suche nach dem wahren Bild (vera icon), nach etwas, das sozusagen höherer Legitimation bedürftig ist, um als authentisch gelten zu können. Denn weil es Gott selbst ist, der Fleisch wird und daher (nur, aber immerhin) im Fleisch sichtbar, müssen die Bilder, die nur letzteres – eben diese inkarnatorische Realität – zeigen können und doch als solche ersteren zeigen sollen bzw. mit bedeuten müssen, ihm näher kommen oder gemäßer werden, als dies von Menschen geleistet/gemacht werden kann. Deswegen die Theorie der und die Suche nach den Acheiropoieta, also den ‚nicht von Menschenhand geschaffenen’ Ur- oder Vorbildern, bei denen es zwar auch um Ästhetik geht, also um Ersichtlichkeit – aber eben zugleich mit dieser um Wahrheit.

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Rottweiler Erscheinung
Michael Kessler