TEXTE
Texte von Reuter
Zu meinen Bildern (1971)
Documenta-Raumobjekt (1977)
Zum Studium der Kunst (1990)
Zum Quadrat (1990)
Licht (1994)
Bilder im Museum (1995)
Von Hölderlin zu
Malewitsch (2004)
KAISERBLAU (2010)
Weitere Texte
Trompe l’oeil (2012)
Erscheinung in
Sigmaringen (2008)
Gebet und Raum (2003)
Raumstationen I - VI (2010)
Gebet und Raum – Betrachtungen eines Malers, Prolog
Teil 2


Um jetzt möglichst schnell die verbale und begriffliche Auseinandersetzung mit dem Raum zu verlassen und zu meinen Bildern zu kommen, möchte ich noch kurz zwei eigene, aktuelle Raumerlebnisse beschreiben, die vielleicht einen Hinweis darauf geben, warum ich gar nicht anders kann, als in meinen Bildern Räume entstehen zu lassen.

Während ich diesen Teil des Textes schreibe, sitze ich in Eppan in Südtirol auf der Terrasse meiner Pension und schaue über Girlan und das Etschtal auf ein sich geradezu theatralisch von 300 auf 3000 Meter aufschichtendes Alpenpanorama mit Weiß- und Schwarzhorn, sowie dem Latemar im Hintergrund. Das ganze ist in ein dermaßen unwirkliches Licht getaucht, dass mir sofort alle Bilder von Caspar David Friedrich, Josef Anton Koch und Giovanni Segantini in den Sinn kommen, die einen ähnlich erhabenen Anblick zum Thema haben. Ich kann verstehen, warum diese Maler versucht haben, solche apotheotischen Erlebnisse in Bilder umzuwandeln und damit dauerhaft zu machen. Alle drei Maler haben übrigens diese Bilder als eine Art von Gottesdienst begriffen, als die Manifestation von Gott in der Natur, weshalb man sie auch ohne Probleme als Andachtsbilder bezeichnen könnte.

Ich will mich nicht weiter in kunstgeschichtlichen Abhandlungen ergehen, sondern damit nur andeuten, dass meiner Bildwelt ähnlich Motive zugrunde liegen könnten, ohne mich in der malerischen Meisterschaft mit diesen historischen Kollegen messen zu wollen.

Das zweite Raumerlebnis liegt einige Tage zurück. Ich hatte durch einen glücklichen Zufall die Möglichkeit, mir den Rohbau der neuen Kellerei des Grafen Enzenberg in Manincor am Kalter See ansehen zu können. Der Architekt Walter Angonese hat ein 35.000 m 3 großes Funktionsgebäude für die Herstellung, Lagerung und den Verkauf der Weine von Manincor voll unter einen Weinberg verschwinden lassen. Es ist sowohl architektonisch, als auch ökologisch höchst interessant und ich nehme an, dass der eine oder andere von Ihnen es nächstes Jahr in Fachzeitschriften veröffentlicht sehen wird. Neben der Gesamtanlage war ich am meisten vom erfreulicherweise noch vollkommen leeren Lagerraum beeindruckt. Decke, Wände und Boden hatten die gleiche hellgraue Betonfarbe. Die einzige Strukturierung des Raumes bestand aus den nur schwach sichtbaren, etwa 1 x 2 m großen Sichtbetonfeldern, die wie eine geschliffene Travertin-Inkrustierung wirkte. Da noch keine Beleuchtung installiert war, bezog der fensterlose Raum sein gesamtes Licht von der großen Öffnung des Eingangstores. Die Grundfläche des quadratischen, stützenlosen Raumes schätze ich auf über 400 qm ein. Die Raumhöhe stieg von vorne 9 m auf hinten 12 m an. Da der Raum, wie gesagt, völlig leer und farblich absolut monochrom war, unterschied ihn nur die leicht ansteigende Decke und der Wandausschnitt für das Eingangstor von einem perfekten Kubus. Durch die Gleichfarbigkeit von Boden, Wänden und Decke und dem milden, fast etwas dämmrigen Licht wurden die Grenzen des Raumes weich und begannen sich fast aufzulösen. Es entstand so im Inneren dieses absolut leeren und völlig unprätentiösen Funktionsraumes ein geradezu sakrales Fluidum, was meine Seele in eine andächtige Stimmung versetzte. Ich war verblüfft und positiv überrascht, da sich zwar bei mir solche Gefühlslagen in echten Kathedralen, je nach Qualität des Raumgefüges, schon öfter eingestellt haben, im Rohbau eines unterirdischen Weinkellers solch ein Erlebnis zu haben, war mir jedoch neu.

Natürlich dachte ich auch hier sofort darüber nach, wie ich dieses Raumgefühl zu einem Bild werden lassen könnte. Einfach den gesehenen Raum in das Bild zu übernehmen, ihn quasi abzumalen, und dann zu glauben, dass er genauso funktioniert wie der reale, wäre naiv und unsinnig. Wie ich mir überhaupt nie solche grundsätzlichen Gedanken über den Raum an sich gemacht habe, um danach, quasi als Illustration dieser Gedanken, eine Raumkonstellationen beispielhaft ins Bild zu setzen. Es war eher umgekehrt. Von Anfang an drängten sich Räumlichkeiten in meine Bilder. Ich war nie souveräner Herr über meine Bildwelt, eher beherrschten die Bildräume mich. Den schon erwähnten Titel „Licht-Raum-Struktur“ meiner ersten größeren Übersichtsausstellung über 20 Jahre meiner Malerei im Jahr 1988 könnte man für ein Programm halten, das ich am Anfang auf meine Fahne geschrieben habe und dem ich dann 20 Jahre gefolgt bin. In Wirklichkeit hatte ich 20 Jahre lange keine Ahnung, dass sich meine Malerei ständig um diese Begriffe gedreht hat, da ich nie über Begriffe, sondern über Bildlösungen nachgedacht habe. Erst im Nachhinein, beim Versuch, ein übergeordnetes Prinzip zu finden, bemerkte ich diese drei Komponenten in allen meinen Bildern. Das ist weitere 15 Jahre, also bis heute, auch so geblieben. In neuester Zeit drängt sich dann und wann die Farbe als dominantes Prinzip in den Vordergrund, was für mich als Maler jedoch kein Beinbruch ist.

Eppan, im September 2003


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