TEXTE
Texte von Reuter
Zu meinen Bildern (1971)
Documenta-Raumobjekt (1977)
Zum Studium der Kunst (1990)
Zum Quadrat (1990)
Licht (1994)
Bilder im Museum (1995)
Von Hölderlin zu
Malewitsch (2004)
KAISERBLAU (2010)
Weitere Texte
Trompe l’oeil (2012)
Erscheinung in
Sigmaringen (2008)
Gebet und Raum (2003)
Raumstationen I - VI (2010)
Gebet und Raum – Betrachtungen eines Malers, Prolog


Da man sich traditionell am Anfang eines Vortrages grundsätzliche Gedanken über das Thema macht und ich berufsmäßiger Traditionalist und somit automatisch auch Avantgardist bin, habe auch ich ein wenig über Gebet und Raum nachgedacht. Zum Gebet kann ich nur die Gedanken eines Amateurs beisteuern, zum Raum sicher die eines Professionellen, wenn auch eines speziellen. Ich denke nämlich weniger über den Raum an sich nach, als dass ich neue Räume erschaffe, bzw. erzeuge. Dies geschieht selten in der Realität, weit häufiger mit Hilfe gemalter Bilder im Kopf, d.h. in der Vorstellungswelt des Betrachters.

Man könnte also sagen, dass ich mit meiner Malerei über Raum nachdenke.

Es wäre für mich ein Leichtes, über den Raum an sich zu philosophieren, in dem ich etwa über Raumtypen, wie den erhabenen, den bedrückenden, den befreienden, den besinnlichen, den erregenden Raum und über einige andere Varianten rede und danach vielleicht auch zum politischen oder soziologischen Raum komme und letztendlich zu einer noch transzendenteren Art von Raum übergehe. Ich will mich hier jedoch vorwiegend mit dem Raum beschäftigen, in dem wir uns auf dieser Welt als Körper befinden und der je nach Beschaffenheit ungeheure Auswirkungen auf unser Befinden und unsere Seele haben kann. Dies ist einerseits der Frei- oder Außenraum, andererseits die Architektur, also der vom Menschen selbst gebaute, bzw. umbaute Raum, der in den Außenraum eingebunden ist.

Die inzwischen mehr oder weniger natürliche Landschaft kann sich von der Beinahe-Unendlichkeit auf offener See bis zur scheinbaren Begrenztheit eines engen Alpentales erstrecken. Der architektonische Raum spannt sich von Groß-Arenen für Sport-, Rock- oder sonstigen Mega-Ereignissen über Hallenbauten für kirchliche, kulturelle oder politische Zwecke und dem Wohnraum unterschiedlicher Größe bis zu dessen kleinster Einheit, der Zelle, sei es Mönchs-, Gefängnis- oder Nasszelle.

Interessant ist, dass es den Raum, über den ich hier so selbstverständlich rede, eigentlich gar nicht gibt. Er ist eher ein Zwischenraum zwischen seinen Grenzen, die ihn definieren. Der Raum selbst besteht aus unsichtbarer Luft, was sich für den Menschen als recht günstig erweist, da er diese einerseits leicht verdrängen und andererseits sogar noch zum Atmen benutzen kann. Bestünde der Raum aus festerer, vielleicht sogar sichtbarer Materie, hätten wir große Schwierigkeiten, uns darin aufzuhalten. (Auf den Sonderfall Wasser möchte ich hier nicht eingehen, da dies den Rahmen sprengen würde).

Ich rede also von einem optischen Nichts, das ich nur durch seine Begrenzung definieren und beschreiben kann. Natürlich wird im Normalfall diese unsichtbare Leere neben dem Menschen von allerlei sonstigen Lebewesen, Objekten und Pflanzen besetzt. Auch gibt es eine Vielzahl von Architekturteilen, die den Raum bevölkern können. Sie können ihn möblieren, unterteilen oder als Säule, Pfeiler, Brunnen, Denkmal, oder Ähnliches - bewusst vom Architekten eingesetzt - ein Eigenleben innerhalb des sie umgebenden Raumes führen.

Ich versuche hier mit vielen Worten das eigenartige Phänomen einzukreisen, dass ich das nicht greifbare Innere eines Raumes, welches ich eigentlich meine und empfinde, nur auf dem Umweg über Wände, Decke, Boden und die Raumausdehnung zu beschreiben vermag.

Hier tauchen Berührungspunkte zum Gebet auf, das sich ebenfalls aus dem (wenigstens teilweise) erklärbaren Diesseits in ein zwar erfühl– aber nicht definierbares Jenseits richtet. Auch dies ist also ein Raum, dessen Zentrum gemeint ist, welcher aber, da göttlich, vom menschlichen Geist höchstens umrundet und nicht im Innersten begriffen werden kann. Da es aber hierzu profundere Kenner der Materie gibt als mich, möchte ich auch weiterhin stärker auf die Bereiche eingehen, die direkt mit meiner Malerei zu tun haben.

Bevor ich zu den Bildern selbst komme, muss ich ein erstaunliches Phänomen erwähnen, das bei der Raumempfindung eine entscheidende Rolle spielt. Es ist das Licht. Ohne Licht würden wir keinen Raum wahrnehmen, ohne Raum, bzw. dessen Begrenzung, würden wir kein Licht wahrnehmen. Genau wie das Innere des Raumes ist Licht für uns nicht direkt sichtbar. Wir können nur die Folgen erkennen. Trifft das Licht auf Materie, z.B. eine Mauer, die vorher in absoluter Dunkelheit für uns unsichtbar war, so wird sowohl die Mauer als auch das Vorhandensein von Licht sichtbar.

Licht und Raum bedingen sich also gegenseitig. Für unser optisches Sensorium ist das eine ohne das andere nicht existent.

Es gibt noch einen weiteren Partner im gegenseitigen Wechselspiel der Phänomene, den ich aber in der Kürze nicht genau benennen und auch nicht annähernd definieren kann. Er entspricht im weitesten Sinne dem Begriff „Struktur“, wie ich ihn in meiner Ausstellung „Licht-Raum-Struktur“ 1988 verwendet habe. Ich meine die Fähigkeiten und Sinne des Menschen selbst, die ihn befähigen, in seiner Umgebung aus Licht und Raum Strukturen einzuführen und damit sowohl im Bezug auf den Raum zu agieren, als auch zu reagieren. Seine Fähigkeit, Erfahrungen zu sammeln und zu bewahren, sowie dieses mit Visionen in die Zukunft zu verbinden, befähigt ihn nicht nur, vorgefundene Räume zu nutzen und wie die Tiere eventuell leicht auszubauen, sondern selbst Gebäude und Räume zu schaffen, sich also den Raum der Erde untertan zu machen, mit all seinen positiven, aber auch negativen Folgen, wie wir sie heute kennen.

Die Wahrnehmung des Raumes, d.h. das Reagieren auf den uns umgebenden Raum, sei er natürlich, sei er künstlich, läuft im Normalfall völlig unbewusst und selbstverständlich ab, wie Essen und Trinken, Sprechen oder sonstige alltägliche Verrichtungen, die nur dann besondere Beachtung finden, wenn sie aus dem Rahmen fallen.

Alles, was ich über die Unsichtbarkeit von Raum und Licht gesagt habe, ist zwar ganz nett und sicher nicht uninteressant, aber für die Wahrnehmung von Räumen ziemlich unerheblich. Den Umgang mit und die Reaktion auf Räume lernen wir in der Kindheit ebenso beiläufig und unbewusst wie die Sprache, bei der wir ja später auch nicht über jeden Begriff nachdenken, den wir verwenden. Leider ist wohl daher auch der alltägliche Umgang mit dem Raum so schlampig und desinteressiert, wie man an den oft hässlichen Stadtmöblierungen, den verhunzten und langweiligen Fassaden und den optisch häufig erschreckenden Wohnungseinrichtungen ablesen kann. Dabei wird der Einfluss des umgebenden Raumes auf die seelische Entwicklung eines jeden Menschen völlig unterschätzt. Es ist eben nicht unerheblich, ob man in einer Familie aufwächst, die auf die Gestaltung ihres Lebensraumes achtet und ihn so schön, wie es die soziale Lage zulässt, zu gestalten versucht, oder ob dafür keinerlei Interesse vorhanden ist. Auf den ersten Blick wäre daher die Kindheit in einem Schloss förderlicher, als die in einer beengten Sozialwohnung. Da es aber eher auf das Bemühen um und die Sehnsucht nach der Schönheit ankommt, ist es nicht vorbestimmt, dass später nur das Schlosskind zu erhabenen Raumerlebnissen fähig sein kann.


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